Überforderung der Sanitäter

Hier könnt ihr erlebte Einsätze schildern und sie können von uns gemeinsam besprochen werden.

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06.06.2009, 15:00
Um diese Diskussion mal aus dem Fallbeispiel Thread rauszulösen:

Inwieweit schätzt ihr eure Kenntnisse ein? Seid ihr schnell mit einem Einsatz überfordert? Habt ihr Beispiele dafür?

Don Spekulatius hat in einem anderen Thread mal diese intelligente Einteilung von sich gegeben:

1. Berechtigte Unsicherheit
2. Unberechtigte Sicherheit
3. Unberechtigte Unsicherheit
4. Berechtigte Sicherheit




Um mal direkt ein Beispiel zu geben:
ich bin seit 2002 als Schulsani mit dabei, seit 06 SanH, seit 07 RH, seit Anfang 08 RS, seitdem immer bei den Fortbildungen dabei und fahre so viel wie es geht als 2/3 Mann aufm RTW mit. Und dennoch schätze ich mich selbst immer noch als mehr oder weniger unerfahren und unsicher ein. Da könnte man noch dies oder jenes verbessern, dort noch schneller und sicherer werden ...

Nunja: Ein "A-ha" Erlebnis hatte ich auf einem Sandienst.
Kind (11 oder so) war auf dem Eis auf den Kopf gestürzt, initial ansprechbar, Werte eigentlich ok, Puls vllt ein bischen Tachykard. Während der Behandlung trübte die junge Dame immer weiter ein.
Ich konnte mich zwar an meinen Algorhytmus orientieren, mein Arsch befand sich trotzdem auf Grundeis.

Seitdem bemühe ich mich, noch mehr Wert auf Einsatzerfahrung zu legen.
SSD-Koordinator
Rettungssanitäter & Gruppenführer

06.06.2009, 15:24
(Mir ist gerade langweilig, da wir schon den ganzen Tag keinen Einsatz haben. Die zweite Staffel von Stromberg haben wir schon gesehen, jetzt ist kurze Fernsehpause....)

Also - mein Zitat ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen. Es handelt sich hier um die typischen Phasen des Lernens. Betrachten wir mal einen Praktikanten im OP und nehmen isoliert eine Leistung - den IV-Zugang.

Die meisten Praktikanten befinden sich zunächst in Stufe 1, d.h. sie können keinen Zugang legen und sind sich dessen auch bewusst. Entsprechend vorsichtig gehen sie an die Sache heran. Meist sind dann durch diese Vorsicht die ersten Punktionsversuche erfolgreich. Es kann einem Praktikanten aber kaum etwas Schlimmeres passieren, als am Anfang fünf erfolgreiche Punktionen von fünf Versuchen zu haben, denn dann kommen sie schnell in Stufe 2. Sie denken nun, durch ihre nur positiven Erfahrungen geprägt, dass sie ein Naturtalent sind und dass diese Maßnahme kein Problem ist. Jetzt kommt die Phase, in der mehr und mehr daneben geht, da sich der Praktikant zu sicher ist. Dies drückt wieder das Selbstbewusstsein und leitet die Phase 3 ein. Diese ist nun in der Regel sehr lang und streckt sich über Monate oder Jahre, je nachdem, wie die persönlichen Erfahrungen sind. Später folgt dann die Stufe 4.

Dies hat IMHO nicht viel mit dem Thema Überforderung zu tun.
Wenn Du nach einigen Einsätzen ein "komisches Gefühl" hattest, dann zeugt dies IMHO von einer sehr guten und kritischen Selbsteinschätzung. Dies wird auch nach Jahren in der Medizin immer noch so sein und vielleicht macht dies auch in gewisser Weise den Reiz an unserem Job aus.

In dem Falbeispiel wollte ich auf etwas anderes hinaus. Wenn Du noch nie eine Komplikation hattest, verlierst Du schnell den Respekt vor gewissen Situationen. Nehmen wir einmal als Beispiel einen Patienten mit Herzinfarkt. Nehmen wir im weiteren an, dass ein SanA diesen Patienten ohne jede Therapie in die Klinik fährt. (Meinetwegen auf dem Fahrrad, wenn er kein Auto hat). Es besteht nun eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dies gut geht und dass der Patient die Klinik nun ohne Folgeschäden erreicht. Das macht er dann ein zweites, drittes, viertes, fünftes Mal. Aus seiner persönlichen Erfahrung leitet er nun für sich die Aussage ab, dass er die Therapie eines Herzinfarktes beherrscht, obwohl er einfach nur fünfmal Glück hatte.
Genauso ist es mit dem Thema Bewusstlosigkeit. Man fragt sich hierbei natürlich, wie "bewusstlos" denn die erwähnten Patienten waren, d.h. wie oft sie z.B. durch einen Notarzt intubiert wurden.
Aber eine gewisse Ahnungs- (äääähhhhh.....) Sorglosigkeit schützt die Menschen davor, sich zu viele Gedanken zu machen.

Ein Trainer hat mir neulich gesagt, ich würde nur durch Versagen lernen. Sein Job wäre es meine Aufgaben so zu wählen, dass ich versage, mir aber genau soviel Erfolg zu lassen, dass ich nicht den Mut und die Lust verliere. (Hatte nichts mit Medizin zu tun).
Es ist Dein Recht, Waffen abzulehnen. Es ist Deine Freiheit, nicht an Gott zu glauben. Aber wenn jemand in Dein Haus einbricht, sind die ersten beiden Dinge, die Du tun wirst: Jemanden mit einer Waffe rufen und beten, dass er rechtzeitig da ist.

06.06.2009, 16:07
(Mir ist ebenfalls langweilig, weil ich ganz alleine in der Servicezentrale vom BRK sitze und noch nichtmal die Rentner ihre Hausnotrufknöpfe drücken...)

Das Problem mit der Überforderung ist, dass sich die wenigsten eingestehen, wenn sie mit etwas überfordert sind. Wer in einem SSD oder einer Hilfsorganisation mithilft, stellt sich selbst den Anspruch, in möglichst vielen Situationen gescheit helfen zu können. Und da in den Ausbildungen dann auch noch alles prima funktioniert, sehen viele nicht ein, dass es einen großen Unterschied gibt, zwischen den Ansprüchen, die man in der Ausbildung prima erfüllt, und dem, was in der Realität auf einen wartet.
Wahre Stärke zeigt in meinen Augen der, der im Notfall einen kühlen Kopf behält und nicht davor zurückscheut, einem erfahreneren Kolegen den Vortritt zu lassen, damit das Ergebnis für Helfer und Patienten umso besser ist.
Nicht umsonst hatten wir in der Bereitschaft, in der ich mene ersten Schritte in Sachen Sanitätsdienst gemacht habe (damals mit 16) die Regelung, dass die "Neulinge" erst ein paar mal den "Alten Hasen" zuschauen, bis sie sich sicher fühlen und auch der alte Hase das Gefühl hat, dass der Neuling sicher genug ist.
Dann wurden die Rollen getauscht - der Neuling wurde aktiv und der alte Hase stand daneben und konnte immernoch eingreifen, falls es erforderlich gewesen wäre.
Dieser Prozess hat sich bis zu zwei Jahre gezogen, bis der "Neuling" danach eigenständig mit anderen Kolegen ohne gezielte Beobachtung gearbeitet hat.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich das System klasse fand und es mir sicherlich nicht geschadet hat, direkt nach der Ausbildung die volle Verantwortung für Patienten zu übernehmen.

Ich habe dann irgendwann den SSD an meiner Schule gegründet und versucht, das System auch dort einzusetzen, was nicht ganz so einfach war, weil ich die einzige war, die in dieser neu gegründeten Gruppe irgendwelche Vorerfahrungen hatte. Mitlerweile läuft es, zumindest den Berichten zufolge, die ich noch ab und zu erhalte, jedoch auch so, dass die älteren, die schon länger dabei sind, die kleinen an die Hand nehmen und die Teams für die Einsätze auch so eingeteilt sind, dass nie zwei "Neulinge" alleine Dienst haben.


Noch ein kleines Beispiel zum Thema "aber in der Ausbildung kann ich doch wirklich alles":
Ich habe die Ausbildung meiner Truppe damals selbst in die Hand genommen (mit Unterstützung vom DRK) und war in allen AG-Stunden dabei. Eines der Mädels aus der siebten Klasse war während der Ausbildung stets mit vollem Herzen dabei und hat auch alle Aufgaben ohne den kleinsten Fehler gemeistert. Ich war mir also, genau wie sie, ziemlich sicher, dass sie für den SSD gut geeignet ist. Gleichzeitig hatte ich einen Jungen in der Truppe, der sich in der Ausbildung kaum konzentrieren konnte und auch die Übungen bei weitem nicht so gut gemeistert hatte.
Dann kam der erste Einsatz (in der Pause) und neben den beiden und mir war noch eine weitere SSD'lerin anwesend. An sich war die Situation nicht spektakulär (Fünftklässler mit Nase vs. Asphalt). Innerhalb von einer Minute wurde dem Mädel, das die Ausbildung so toll gemeistert hatte, klar, dass sie evtl. vielleicht doch kein Blut sehen kann, während der Junge sich vollkommen ruhig und gelassen um den kleinen Patienten gekümmert hat.
Fazit: Die Leistungen in der Ausbildungen haben nicht umbedingt was damit zu tun, wie man sich später im Einsatz schlägt.


Was mich selber angeht:
Auch, wenn ich in den letzten 6 Jahren einiges an Sicherheit dazugewonnen habe, bin ich auch heute noch froh, wenn ich einen Kollegen bei mir habe, mit dem ich die Verantwortung teilen kann - sei es, um eine zweite Meinung zu haben (KH ja/nein?) oder schon alleine, um jemanden zu haben, der das Protokoll schreibt oder Sachen angeben kann (bzw. dem ich etwas anreichen kann). Ich traue mir zwar schon zu, in Notfallsituationen angebracht zu handeln, würde mir aber trotzdem nicht wünschen, ganz alleine vor einem großen VU stehen zu müssen.


lg Caro (die sich jetzt mal nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Zentrale umschaut)
Caro, 28, Lehrerin.

07.06.2009, 12:46
Also. Besonders am Anfang war es bei mir so, dass ich bei Einstätzen immer angefangen habe zu zittern. Hat man zwar nicht anmerken lassen. Für mich selber war das aber schon nervig.
Sanitäter im BRK

07.06.2009, 21:01
Also das Gefühl der zitternden Finger kenne ich, das hatte ich auch bei meinen ersten SSD-Einsätzen, sogar bei nem normalen WSV. Das hat sich aber zum Glück schnell gelegt.
Ich bin als Rettungsschwimmer geboren, mit Wasser gestillt und aufgezogen! Hurra!:P

leverkusen.dlrg.de
www.drk-lev.de

07.06.2009, 22:35
Dons Aufzählung trifft das Ganze einer Meinung nach sehr genau. Selbstüberschätzung hilft keinem. Einen Umweg über das Scheitern würde ich mir, und will sich sicherlich auch jeder andere, gerne ersparen und deshalb ist ein waches Auge auf die eigenen Fähigkeiten das A und O.
Rettungshelfer
SEG | First Responder | San-Dienste

08.06.2009, 13:40
Ja das mit den zitternden Händen ist so ne Sache kene ich besonders bei miener ersten BZ-messung ...das war ein Abenteuer =)
Komme aus der Nähe von Bonn bin in der Jugendfeuerwehr, dem Thw und dem SSD (SanH)unserer Schule tätig bin 16 Jahre alt =) :D =)

08.06.2009, 20:12
Jaah! Die zitternden Hände und das bisschen Schwindel durch die Aufregung von den ersten 8-10 Einsätzen im SSD kenne ich auch sehr gut.

lg
17 Jahre | SanC | Schulsanitäter | Leiter SSD | Bereitschaft'ler | RUD A&B | RHS'ler | Ausbildung in 1 Monat folgend ... Rettungshelfer |

08.06.2009, 20:25
Das ist ja auch normal und dagegen sagt auch keiner was. Man ist am Anfang immer unerfahren und man kann immer in Situationen kommen, die man nicht beherrscht. Problematisch ist es, wenn man auf Grund von Selbstüberschätzung glaubt eine Situation beherrschen zu können, obwohl dem nicht so ist.
Zuletzt geändert von Akkon am 08.06.2009, 20:26, insgesamt 1-mal geändert.
Rettungshelfer
SEG | First Responder | San-Dienste

08.06.2009, 20:46
Ja, ja: Das altbekannte Zittern bei den ersten paar Einsätzen. Davon wurde ich natürlich auch nicht verschohnt. Ich war schon echt froh, dass ich da keine Verabtwortung hatte und bei den ersten 3 erstmal nur danebenstehen konnte und mich so daran "gewöhnen" konnte, soweit das möglich ist. Natürlich bin ich auch immer froh, wenn ich eine Person als Absicherung habe, die Eingreift, wenn ich was falsch mache. Ich hoffe, dass ich mich nicht zu stark überschätze, da das sicherlich schlecht sein kann für mich und den Patienten. Ich versuch immer runterzukommen, indem ich mir angucke, was der RD so macht, wenn er kommt, was ich garnocht kann, oder mir garnicht eingefallen wäre.
meine ich ... RA-Azubi ... Ex-SSDler am WEG Büdingen; Feuerwehrler bei der örtlichen FF; Mitglied beim MHD und dort bei SanDiensten, Fahrzeugpflege, im KatS und als Gruppenleiter bei der Jugend dabei; 18 Jahre

08.06.2009, 23:14
Find diese Sicherheitsphasen auch ganz anschaulich - allerdings sollte man dran denken, dass man auch wenn man einmal die "berichtige Sicherheit" erreicht hat, schnell wieder auf eine der ersten Stufen - gerade "unberechtigte Sicherheit" - zurückfallen kann.

"Kenn ich, hab ich schon Tausend mal gemacht, hat vor 20 Jahren auch geklappt." ;-)

30.07.2009, 13:41
Mein erster Einsatz war definitiv mein schlimmster Einsatz. Da hab ich schon stark gezittert... die darauffolgenden male natürlich auch.

Jetzt zittere ich nicht mehr bei einem Einsatz und fühle mich bei meinen Maßnahmen eigentlich schon sicher.

Mein erster Einsatz war ne Luxation von nem Zeh.
Zuletzt geändert von Thorbi 110 am 05.04.2010, 16:22, insgesamt 5-mal geändert.
14 Jahre; Ausbildung: Notfallhelfer; Leiter SSanD von Saniseite aus; Teamführer 1. SSD Team; Materialwart; Mitglied bei der JF der Stadt Grafin bei München und der MHD Jugend Ebersberg

31.07.2009, 14:30
Und was war dein erster Einsatz wenn ich fragen darf?

zu meinem 1. Einsatz, wo ich noch keine Ahnung von Rettungsdienst hatte und so:
Z. n. Treppensturz, Alles voll Blut, Schädelbasisbruch, 5. Halswirbel gebrochen, Mit Hubschrauber, Notarzt und Polizei
- 21 Jahre jung oder alt, suchts euch aus
- Bereitschaftlerin in der Funktion als Rettungsassistentin und Jugendwart
- FeuerwehrFRAU
- Auch wenn ich sage das es mir gut geht, wissen bestimmte Leute das ich sie angelogen habe.

18.08.2009, 20:02
An meinen ersten Einsatz kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich fühle mich schon immer recht sicher in Einsätzen, da ich am Anfang noch auf die "älteren Kameraden" zurückgreifen konnte, und nun auch viel in der Zeit dazu gelernt habe.
SAN A + LSP
+ DRK OV Bad Hersfeld +

31.08.2009, 21:42
Zittern: ja, beim ersten BZ messen. Dabei wars nur mein betreuender RettAs bei dem ichs machen musste, als die mir den RTW gezeigt hatten.

Überforderung: JA. Ich bin auf 2 Wachen bis jetzt gefahren. Auf der einen Wachen hab ich immer schön EKG geklebt, Infusion/Zugang vorbereitet, Medis aufgezogen und sowas halt, hab gedacht, das das ja alles klappt. Letzte Schicht war ich das erste mal auf der in meiner Nähe. Bin den ersten Einsatz mit denen gefahren und das war halt mein 20. der meine Praktizeit quasi abschloss. Nun gut. 2. Einsatz war ne KTW fahrt und die meinten kurz vor dem Zimmer der Dame: Dein Patient. Super. Ich stand da nur und wusst nix mehr weiter. Beim zweiten Patienten den die mir überlassen hatten (Alkoholleiche) wars zwar schon bissl besser aber ich wusste auch nicht so recht weiter ob der jetzt wirklich so "zu" ist, dass der ins KH MUSS oder ob man den auf eigenen Wunsch gehn lassen kann.
Naja ich überleg mir im moment wirklich ob ich für den Job auf dem KTW geeignet bin und ob ich nächstes Jahr wirklich den RS machen soll...das nicht mehr weiter wissen war mir so extremst peinlich. Ich war total überfordert. Und den speziellen RTW auf der 2. Wache kannte ich noch nicht mal. Total doof...
Zuletzt geändert von kiwi8 am 31.08.2009, 21:45, insgesamt 1-mal geändert.

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